Triest 2017 – Fernweh nach Trieste

Tach,

Fernweh, im Gegensatz zu Heimweh, und beides ist mit Sehnsucht nach der Ferne, der Heimat, den Lieben und der/dem Liebsten verbunden. Fernweh ist auch Sehnsucht nach dem Unbekannten. Aber so ganz ohne Vorstellung von einem Ort, kann mann, glaube ich, sich nicht dorthin sehnen.
Nun ist ja meine Liebe zu Odessa hier schon in vielen Texten und Videos postkundig geworden. Sie wird Bestand haben, und trotzdem gibt es auch Sehnsüchte zu andern Orten. Wobei schon „trotzdem“ negativ ist. Trotzdem ist falsch, schon, weil ich bin nicht monogam, zumindest nicht dabei und ich auch nicht mit Odessa unzufrieden bin. Odessa ist auch nicht eifersüchtig, weiß es doch, daß ich von nun an jedes Jahr zurückkehren werde. Odessa muß sich jetzt schon den Platz eins meiner Fernlieben mit Moldova teilen. Und nun ein Dritter?

Viel Literatur gibt es in Triest zu Erkunden, neben Italo Svevo natürlich auch Umberto Saba und James Joyce, der hier seinen Ulysses angefangen hat. Aber noch vielmehr gibt es zu entdecken. Zu Triest und Literatur gibt es einen extra Post.
Dazu muß ich sagen, daß ich zu vielen Plätzen möchte, um mal zu sehen, wie es da aussieht, wie es riecht, wie es schmeckt. Wie mir dort die Sonne auf den Detz scheint. Ich habe einen Stapel ausgeschnittener Reiseberichte, Zettel in Büchern, in denen nahe und ferne Orte beschrieben werden, wo mir beim Lesen ein „ach, da möchte ich auch einmal sein“ durch den Körper rauscht. Wenn ich/wir in fremden Ländern, Orten sind, versuche ich mir immer vorzustellen, ob ich dort leben könnte. Ich richte das Apartment im Geist mit meinen Möbeln ein. Wo würde mein Küchenschrank stehen, in welche Richtung würde mein Bett zeigen? Gibt es Menschen, die ich regelmäßig sehe und grüße, wie alte Bekannte? Was kostet das Leben hier, könnte ich es mir leisten dort zu leben? Wo würde ich dort einkaufen, finde ich schnell eine Bäckerei oder ein Café, in dem ich heimisch werden kann? In Lucca, in der Nähe von Kiros Wohnung, z.B. gibt es eine Bäckerei, in der ich jeden Tag, bevor es losging, erstmal einen Cappu getrunken und ein Croissant gegessen habe, als ich mit Lilija dort war oder später noch einmal allein mit Pico. Also eigentlich Überlegungen anstellen, ob ich dort nicht leben könnte, ob sich Traditionen entwickeln können, das gehört für mich zu Heimat dazu, Orte, an die mann immer wiederkehrt, aber nicht aus nostalgischen, melancholischen Gründen, oder auch aus diesen, aber nicht vorrangig. Die Traditionen müssen/sollten Theil des täglichen Lebens sein. Nichts Totes, im Sinne „haben wir schon immer so gemacht“. Theil des Lebens ohne nachzudenken, auch veränderbar, so wie ich das Kartoffelsupperezept meiner Mutter weiterentwickelt habe, und es trotzdem ihr Rezept bleibt. – Aber ach, beim Schreiben fällt mir auf, wie lange ich nicht mehr in Lucca war oder bei Kiro in Mailand. Ich kann nicht überall sein. Ich muß manchen Orten den Vorzug vor andern geben. Aber Lucca setze ich jetzt wieder auf diese Liste nach oben.

Freundlicherweise heißen dort schon jetzt eine ganze Menge Ort nach mir.

Im März werden Lilija und ich für eine Woche nach Triest fahren. Warum Triest? Oder wie Kiro, als Italiener, mal abfällig sagte: „Was willst Du denn ausgerechnet in dieser Stadt?“
Das ist eben Fernweh, und weiß ich wirklich, warum es mich dorthin zieht, kann ich das definieren? Ich glaube nicht. Ich kann sagen, als ich das erste Mal in Odessa war, hat es „plink“ gemacht. Ich wußte, das ist meine Stadt, fragt einer warum, rede ich eine Stunde, und werde es trotzdem nicht erklären können. In dem Sinne, als Nordeuropäer, trifft es vielleicht doch was Sigmund Freud gesagt hat: „Unser Herz zeigt nach Süden“. Aber da gibt es viel mehr als Triest und Odessa.
Als ich acht, neun Jahre alt war, 1963/64, waren meine Eltern und ich mal wieder in Österreich im Urlaub, wir waren immer in Rosengarten in Tirol, aber ob das auch so war in dem Jahr, von dem ich jetzt erzähle, das weiß ich nicht mehr. Jedenfalls haben wir einen Tagesausflug gemacht, nach Triest, mit Straßen, auf denen es „Maut“ gab. Damals war das ein neues Wort für uns alle. Außer daß ich auf der Hinfahrt in den Bergen in einem Restaurant Spaghetti gegessen habe, mit einem Kellner, der mir mit Engelsgeduld die „richtige“ Art Spaghetti zu essen beibrachte, erinnere ich mich nur daran, daß wir in Triest waren, ich mit meinen Eltern dort eine Mole entlanglief und Schiffe und das Meer gesehen habe. Eis gab es ganz bestimmt, ohne das konnte/kann die Birrische Familie nicht leben. Ich weiß gar nicht, warum meine Eltern nach Triest wollten, was wir uns dort noch angesehen haben. Warum sind wir nicht nach Venedig gefahren? Wäre das nicht ein selbstverständlicheres Ziel gewesen?

Lilija und Thomas im berühmten Kaffeehaus Café Tommaseo.
Das Bild der Mole blieb in meinem Kopf, ohne daß ich in den jungen Jahren etwas darauf gegeben hätte, damals zog es mich nach Irland. Aber langsam drängte es nach vorn. Als ich mit der Mutter von Pico zusammen war, es Pico aber noch nicht gab, erzählte ich ihr von meinem Sehnsuchtsort Triest und das es jetzt an der Zeit sei, dort hinzufahren, komischerweise war klar, daß ich alleine fahren würde. Aber sie bat mich zu bleiben, es war die Zeit des Kriegs auf dem Balkan und sie hatte Angst, daß mir etwas passiert. Also blieb ich, bin nicht gefahren. Wieder gingen Jahre ins Land. Und in der Zwischenzeit bin ich verheiratet in St. Petersburg, und alle freie Zeit fraß diese Stadt auf. Und viel Geld, um mehr als die Fahrten nach Petersburg zu bezahlen, war auch nicht im Portemonnaie. Dann im Winter 2013/2014 hat mich, wie meine Mutter immer sagte, der Hafer gestochen. Bombardiert mit den Billigreise-Newslettern der Supermärkte, auch den ewig billigen Anzeigen im ADAC Heft, habe ich beschlossen, so eine Fahrt wird jetzt mal gebucht und ich schenke sie Lilija zum Geburtstag. Gedacht, getan. Bei Lidl „Fünf Tage Kroatien mit Vollpension im Bungalow am Meer“, zwei Personen, 199€. Klar, das konnte nur Trash sein, aber ich wollte es unbedingt. Anfahrt im eigenen PKW, wie es immer so schön heißt. Lilija hat im März Geburtstag, und zu dieser Zeit ist es immer noch sehr trist in St. Petersburg, und ich dachte, im Süden blühen dann wenigstens schon ein paar Blumen und Bäume und die Sonne scheint bestimmt auch als Geburtstagsgruß. Aber es war auch die lang ersehnte Gelegenheit nach Triest zu kommen. Wenn wir schon mal da unten in Istrien sind, können wir auf dem Rückweg einen Umweg machen und nach Triest fahren. Wir haben also zwei Tage Triest an Istrien ran gehängt. Weder über Istrien, noch über die Fahrt nach Triest habe ich bisher erzählt. Ich schwöre, ich werde das nachholen, bevor wir diesmal losfahren.

In diesem Winter/Frühjahr wollte ich eigentlich ein anders Sehnsuchtsziel von mir besuchen. Sizilien. Schon „immer“, ja schon immer will ich zur Zeit der Orangenernte im Winter dort hin. Es ist mein Traum durch Orangenhaine zu laufen und die Orangen zu riechen. Aber mit der kurzen Zeit, die Lilija im Frühjahr, bedingt durch die Uni, hat, ist unsere gewohnte Art des Reisens, Kurzreisen zu unternehmen, unrealistisch. Sie fliegt nach Berlin und am nächsten Tag geht es los. Mit dem zwanzig Jahre alten Bus und dem sechzig Jahre alten Fahrer sind das bestimmt zwei Tage bis Sizilien, zwei Tage zurück, bleiben noch drei, vier Tage für die Insel. Nein, das macht keinen Sinn, das müssen wir länger und anders planen. Als wir soweit waren, sagte ich, dann komme ich eben nach Piter. „Nein, ich will wegfahren“ – war die Antwort. Zögerlich von mir: „Na wir könnten noch einmal nach Triest fahren.“ Und zu meinem Erstaunen, mußte ich gar nicht argumentieren. „Au ja“ – war ihre Antwort.

Blick vom Castello di S. Giusto über Triest zum Hafen.
Da sind wir also an einem Punkt, an dem wir auch schon in Novgorod waren. Wir fahren wieder zu einem Ort, an dem wir schon waren, und geben nicht einem Unbekannten den Vorzug. Scheinbar. Was schon für Novgorod, wo wir nun das dritte Mal waren, galt, gilt für Triest auch, oder umso mehr. Noch während wir in Novgorod waren, haben wir beschlossen, daß wir dort noch einmal hinmüssen, dann mit einem Tag mehr Zeit. Wir haben quasi einen Schnupperkurs gemacht, und im Nachhinein festgestellt, was wir alles nicht gesehen haben, nicht nur nicht den Winterschlaf haltenden Bären, sondern auch die vielen Denkmäler, Kirchen und manche Stadtheile nicht. Daß wir eigentlich mit so einem Besuch der Stadt nicht gerecht werden, wir fahren nach Hause zurück, und haben unsere „Arbeit“ nicht getan, unbefriedigt. Das liegt natürlich auch daran, daß es nicht mal einen Reiseführer für Novgorod gibt, die Tourismuswebseite Mist ist, oder schwächer, nichts für unsere Wünsche. Und also die Vorbereitung nicht gründlich sein kann. Manche Dinge, wie diese ausruhende Touristin, haben wir nur durch Zufall gefunden und darauf aufbauend ergab sich dann mehr.

Oben ist die russisch-orthodoxe Kirche zusehen, sie wurde gerade renoviert, deswegen waren wir leider nicht drin. Darunter bin ich im Gespräch mit dem „Kurator“ der griechisch-orthodoxen Kirche, der mir viel über die Geschichte Triests und der orthodoxen Gemeinden erzählt hat.
Und Triest? Das eben läßt sich nicht eins zu eins vergleichen, sicher war die erste Fahrt auch eher ein Abklappern von all dem, was mann gesehen haben muß. Damals habe ich mit Hängen-und-Würgen (auch ein Zitat aus dem Weisheitenschatz meiner Mutter) ein uralt Merian Heft aufgetrieben und den Dumont Reiseführer, das war es dann schon. – „Triest verkehrt – Fünfzehn Spaziergänge in der Stadt des Windes“ sei jedem als Vorbereitung empfohlen.
Natürlich wußte ich, daß Joyce hier gelebt hat, ich wußte wer Umberto Saba ist und Italo Sevo hatte ich auch gelesen. Aber nicht mit den Gedanken ihre Plätze abzulaufen. Abgesehen davon daß Triest eben eine sehr literarische Stadt ist und sich sicher nicht auf diesen drei herausragenden Monumenten reduzieren läßt. Wir haben nichts Typisches gegessen. Immerhin haben wir ein Steh-Café gefunden, in dem wir Hausbrandt getrunken haben, meinen derzeitigen Lieblingskaffee, der aus Triest stammt.

Das Cafe auf der Via Giosué Carducci mit Hausbrandt Kaffee. Stock Reklame: eine alte (1884) Marke aus Triest berühmt für ihren Weinbrand.

 

Wir sind nicht hoch in den Karst gefahren, nicht nach Görz und nicht zum Rilkeweg. Unfertig war die Reise. Inzwischen gibt es eine ganze Menge Reiseführer, literarische auch. Und ich habe uns mit Büchern eingedeckt. Ich versuche immer Schriftsteller zu lesen aus den Orten, in die ich reise, zur Vorbereitung und wenn ich dort bin. Isaac Babel in Odessa, in Wologoda Warlam Schalamow z.B. und in Petersburg, na, dazu ist hier nicht genug Platz, was ich schon alles gelesen habe und wie lang die Liste ist, was ich noch lesen muß. Für Triest bereite ich mich mit Claudio Margis vor, von dem ich „Ein anderes Meer“ ganz besonders schätze, das in großen Theilen im Karst, in Triest und an der Adria spielt. Jetzt lese ich „Triest: Eine literarische Hauptstadt in Mitteleuropa“. Und zapple schon, um den nächsten Italo Sevo Roman zu lesen. Auch wenn es nicht darum geht, aber nach meinem sechzigsten Geburtstag hatte ich „Ein Mann wird älter“ gelesen, im italienischen Original heißt es Senilitä. Über Weihnachten in Petersburg noch einmal „Der alte Herr und das schöne Mädchen“, das Lilija gerade liest, ich habe sie angesteckt. Nun wartet „Zeno Cosini“ auf meinem Nachttisch. Aber vielleicht lese ich es auch erst in Triest.
Inzwischen gibt sogar ein Lesebuch über Istrien, das wäre schön gewesen, außer einem mageren ADAC Reiseführer hatten wir damals gar nichts. Über die Reisebücher und die Literatur aus/zu Triest werde ich einen extra Text schreiben, das sprengt hier den Rahmen, eigentlich habe ich das für alle Fahrten vor, aber wie meine Mutter immer so schön sagte: Nimm di nix vör galt di nix fehl. Aber so viel vorweg: Es freut mich, wenn nun mittlerweile jede Stadt in Deutschland mit mehr als 100.000 Einwohnern in der Fußball-Bundesliga ist und einen eigenen Tatort-Kommissar hat. Aber ich sehe Tatort gar nicht, und ich brauche auch keinen Krimi aus Triest, wie wenig ich in Venedig Donna Leon lesen würde. Auf eine Besprechung dazu könnte ihr hier nicht hoffen. Für Sizilien hatte ich schon angefangen Literatur zusammenzustellen, aber natürlich würde ich dort Montalbano lesen und Cannelloni essen.
Um den Faden wieder aufzunehmen, wir geben also nicht dem Bekannten den Vorzug, sondern denken, daß dieser Ort für uns noch immer unbekannt ist. Wir haben sein Herz noch nicht entdeckt. Fast hoffe ich, daß es auch diesmal nicht so weit kommt, damit ich Grund habe, noch ein weiteres Mal nach Triest zu fahren.

Auch in Triest geht nichts ohne Katzen, nur sind sie hier motorisiert! Sie ließ sich sogar kurzfristig von mir kraulen.

Morjens

Dieses Photo ist eins der besten Photos von Lilija. Die fröhliche Jugend und die schmerzliche Einsamkeit im Alter, im Abseits.
Alle Photos von Lilija Birr-Tsurkan.

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