Mein St. Petersburg – Proletarskoe Tango

Tach,

Heute ist mein Weihnachtsgeschenk eingelöst worden. Eine Eintrittskarte für ein Konzert. Außer mir hatte Lilija auch ihre Freundin Lena und deren Mann Alexej mit einer Karte beglückt. Das Konzert fand im (ehemaligen?) Dokumentarfilmstudio statt. Ich war dort schon mal, vor Jahren, wir hatten das Album „Gesture“ von Ashraf Kateb dort aufgenommen. Seitdem hat sich viel getan, äußerlich, und nun ist es eine „Location“ geworden.

Lendok steht in großen Buchstaben über der Bühne.
           Lena, Alexej und Lilija
„Proletarskoe Tango“ heißt die Band, zu der wir geladen worden waren. Eine Retro Band wie mann das hier nennt. Nun ist Retro ja im Grunde alles von der Steinzeit bis gestern. Aber gemeint ist die Zeit der Vierziger bis Sechziger Jahre. Ich hatte noch nichts von denen gehört. Und dachte mir schon was kommt, wollte aber nicht den Klugscheißer raushängen lassen.
Retro auf jeden: Anstehen an der Garderobe, anstehen in einer gnadenlosen Schlage am Einlass. Und schon vorher, wie weltweit: ein Pulk von Rauchern direkt vor dem Eingang. Aber, zu Viert ist alles leichter. Lena stand in der Schlange zum Einlass, Alexej in der an der Garderobe, wir kamen gerade rechtzeitig als Alexej dran war. Geschubse, Gedränge wie früher am ersten Tag vom Sommerschlußverkauf. Auch Retro, weiß bloß keiner mehr. Veranstaltet wurde das von „Roof Music“, die machen, wie der Name tatsächlich sagt, Veranstaltungen auf Dächern, eigentlich. Gott-sei-Dank nicht bei diesen minus Graden.

Endlich drin, mit Bändchen am Arm. Die Organisation war „sechs, setzen“. Stichwort studentische Aushilfskräfte. Superarrogant, dumm wie Stroh, total überfordert, aber Hauptsache langsam. Drinnen dann Durst. Lilija kommt zurück, es gibt nur Sekt. Hä? Außerdem muß mann einen Bon haben, den mann kaufen muß, den wiederum nur Menschen bekommen die sowjetisch gekleidet sind. Mir war aufgefallen, daß viele Menschen sich rausgeputzt hatten. Quasi – Pseudo – Freestyle Retro sozusagen, nicht ganz so schick und teuer wie in Sommer beim Festival in Odessa, aber doch schon deutlich andere Klamotten wie bei ein Philharmonie oder Jazz Konzert. Nun Lilija hatte das mit dem Dresscode nicht mitbekommen, sonst wäre ich natürlich auch anders angezogen gewesen und hätte doch zumindest einen Hut aufgehabt. (Ich gestehe, der ist zur Zeit gegen eine Mütze getauscht, bei den Hüten fallen mir einfach die Ohren ab, bei der Kälte. Weichei das ich bin, Sorry). Nun wir haben Lilija ausgeguckt, die sah, wie immer, am meisten sowjetisch aus. Womit sich aber das Problem mit dem Sekt und mir noch nicht löste. Aber sie kam brav mit einen Flasche Wasser für Vatan wieder. Problem umgangen und sich draußen in die Schlange an der Bar angestellt.

Dies Mädchen hatte sich als Straßenbahnschaffnerin gestylt und hatte tatsächlich außer der Armbinde auch eine originale Fahrkartenrolle dabei. Lilijas Frage, ob die alt sind. Siebzehn Jahre, alt genug? Ja klar. Nach den Photos bekamen wir beide einen Bonbon von der Schaffnerin geschenkt. Meine Frage, sind die auch siebzehn Jahre alt? Nein waren sie nicht. Alte Männer Witze.(Aber nicht sie: kräftig gebaut, rundlich ist ok, zu dick sein ist hier nur das Problem der Dünnen – sehr angenehm!)

Nun wäre ja Original Retro 19.00 Konzert-Anfang ist 19.00 Ko zert-Anfang und Tür zu. Niemand kommt bis zur Pause noch bzw. wieder rein. Das denn nun doch nicht. Was wiederum ältere Menschen irritierte. Gute halbe Stunde später ging es los. Leider muß ich sagen, daß die Anlage nicht so war, vorsichtig ausgedrückt, und beim Konzert wurde es schlimmer. Die spielten, und erstaunlicherweise viel mir dazu das Elvis Costello Konzert im Metropol in Berlin ein, bereits zum Ohren-Aufwärmen so ab zehn nach sieben, originale Retrohits. Von denen wiederum die meisten Cover-Version von westlichen Hits waren. Schabernack?? So ca. 200 Leute standen und warteten. Auch das ein Novum, endlich mal ein Konzert wo ich nicht sitzen muß, alles außer Klassik bitte im Stehen. Am liebsten hinten rechts alleine. Keine/r der dazwischen quatscht, genug Abstand zu allem, und die Möglichkeit die Reaktion des Publikums zu beobachten. Ja, ich habe so meine Macken. Die Band kommt vom Seiteneingang in der Mitte des Saales rein. Rufe, Gröhl, Klatschen, mann kennt sich. Großer Auftritt.
Und dann ging es endlich los. Durch die Bank weg gute Musiker, zehn Mann und ein Sänger. Vier Bläser, Gitarre, Bass, Geige, Balalaika, Piano und Percussion. Und positiv, nicht dogmatisch, statt einer Basstrommel am Schlagzeug, saß der Perkussionist auf einem Cajon. Mir fehlte nur die Tuba.

Nun ging es ab, erst einmal ein paar schnelle Kracher hintereinander zum Aufwärmen von Band und Publikum. Der Sound ist so eine Mischung aus Blasskapelle im Kurpark am Sonntag, balkanischem Bellydance, mit einem Hauch jiddisch dazu und das ganze gespielt von Leuten die wohl aus der Petersburger Punk-Ska Szene kommen. Fröhlich auf jeden Fall, gute Arrangements. Sehr guter Gitarrist, sehr guter Balalaika Spieler, die hörte mann durch, der Sound war zu breiig, den Geiger habe ich nur spielen gesehen und nicht gehört. Zu laut, teilweise verzehrt. War auch sowieso keine gute Anlage, leider und sehr schade.

Aber hat keinen gestört. Die Band feierte sich selbst, das Publikum feiert sich auch selbst. Und manchmal feierten auch beide die andern. Selfie-Mania und kein Ende, mit Mobiltelephonen und mit Photographen und Kameras, ohne Ende, richtig posen bis es weh tut. Guck nicht hin, wenn es dir nicht gefällt. Sehen und gesehen werden. Und anders als bei uns gibt es keine bösen Blicke wegen einer Kamera, keine Gebrubbel und Gesülze von wegen fragen ob mann photogaphiert werden will, darf etc. Die Menschen wollen, und haben Spaß. Manchmal kann die Welt auch unkompliziert sein.

Lilija wollte diese beiden Damen photographieren, ich wollte mit aufs Photo, und schwupps sprangen sie wie junge Mädchen jede an eine Seite von mir. So soll es sein!

An jeder Hand Fünfe.
So ab Song drei wurden aus einzelnen Hüpfern Paare, und an mehreren Stellen im Saal wurde getanzt. Freestyle. Allen voran auch hier wieder die „älteren Schönheiten“, wiewohl die im Schnitt zehn Jahre jünger waren als die Damen in Odessa. Manche hatten ihren/re Begleiter/in dabei und schwoften dann zusammen. Lilija und ich dann tatsächlich auch ein bißchen, die Photodokumentation dazu ist etwas verunglückt, der Ersatzkameramann hat geschwächelt.

Kleines Videos dazu, dort kann mann ein bißchen den Sound hören, „Если у вас нету тёти“. 
Und das Repertoire?? Nun bin ich nicht der Superfachmann dafür, ich kannte ca. 60 Prozent der Songs, zwei zum Mitsingen bzw. pfeifen. Tatsächlich einer meiner Lieblingssongs, „Если у вас нету тёти“ aus dem Film „Ironie des Schicksals“,  mit der Musik von Mikael Tariwerdijew, einem meiner russischen Lieblingsfilmkomponisten, damit bin ich als Westler schon ganz weit vorne, aber wie die anderen Lieder heißen, wer das im Original gesungen hat, frag mich nicht.
Tragende Rolle in der Band hat der Sänger, ohne den wäre alles nichts. Solange er singt hat er eine gute Haltung am Mic, macht gute Bewegungen, passt, er kann auch Schnulzen singen, ohne daß es weh tut. Aber dann sobald er „schweigt“ sind die Bewegungen eher wieder Ska, – eigentlich hätte mann auch Pogo tanzen können – mann merkt das es nur eine Rolle ist die er, die sie alle spielen, sie „leben“ es nicht. Kann einem verdammt noch mal aber auch egal sein. Schließlich und endlich hat es diese Musik so ja auch nie gegeben. Was sie spielen ist gut, macht ihnen Spaß und das Publikum hatte einen tollen Abend. Darum geht es bei einem Konzert.

Morjens

 

Alle Photos und das Video sind von Lilija Birr-Tsurkan.

 


Eine Antwort zu “Mein St. Petersburg – Proletarskoe Tango”

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