Odessa II – Bunins Haus

Tach,


Heute habe ich mich selbst überrascht. Ich bin eine Ecke weg vom neuen Markt unterwegs gewesen, weil dort vom neuen Markt weg die ganze Straße noch Händler sitzen und auch verkaufen. Ich wollte Photos von der Außenseite des Marktes, den Geschäften dort, und den weitern mehr fliegenden Händlern machen. Da habe ich ein Haus gesehen, das eine etwas seltsame Brandmauer hat (Brandmauer ist übrigens wie Schlagbaum oder Butterbrot ein Lehnwort im Russischen).

Man sieht, daß in der einen Etage noch eine Art Balkon ist, in der darüber aber ist nichts. Ein Loch und eine zugemauerte Tür. Das wollte ich als „rotton place“ photographieren. Dann habe ich die Frontfassade angesehen und fand sie ganz hübsch und hergerichtet, aber wie bei vielen Häusern hier ist das immer nur der erste Eindruck, wie am Ekatharinen Platz Eins, wo ich wohne.

Am Anfang denkt mann: oh, alles renoviert, die ganze Straße. Bleibt der Blick aber länger hängen, dann sieht man Löcher in der Farbe der Fassade, unter dem Balkon, oben am Dach. Es ist eben, leider, nicht hergerichtet. In Petersburg ist das auch so. Ganz am Anfang, als ich dort noch nicht Auto fahren durfte – gaaaanz lange Geschichte – saß ich immer auf dem Beifahrersitz neben Lilija und konnte nur aus dem Fenster gucken. Und nun gibt es ja im „Venedig des Nordens“ viele lange Kanäle. Das heißt, ich sitze links und gucke links über das Wasser auf die Häuser und Paläste und freue mich, daß alles hübsch angestrichen und nett aussieht, rosa, grün, hellblau. Und durch die vielen italienischen, französischen Architekten, die Peter und vor allem Ekatharina geholt hat, hat auch alles einen mediterranen Touch. Vor allem, wenn die Sonne über den Kanal die Häuser bescheint. Aber steige ich dann aus und laufe an so einem Haus lang…. dann sieht man den Pfusch. Daß alles schnell und billig sein mußte. Und daß die Höfe auch mal ein paar Tropfen Farbe abbekommen sollen… Wir wollen doch nicht übertreiben.

Ganz nach Brecht aus dem Arturo Ui:

Ist wo etwas faul und rieselt’s im Gemäuer,
Dann ist’s nötig, daß man etwas tut.
Und die Fäulnis wächst ganz ungeheuer.
Wenn das einer sieht, das ist nicht gut.
Da ist Tünche nötig, frische Tünche nötig!

Als ich noch die alte Strecke nach St. Petersburg über Pskov fuhr, bin ich im Frühjahr zufällig öfter an der Grenze angekommen, als dort Frühjahrsputz war. Da pinselte immer der gleiche Soldat den immer gleichen Zaun über. Schwarz. Da wurde nicht geputzt, der Zaun wurde nicht abgeschmirgelt, keine Vorstreichfarbe. Einfach rüber über den Dreck und fertig. – Und nächstes Jahr habe ich wieder eine Aufgabe, wird sich der Soldat gedacht haben. Zäune gab es da genug.

Heute dachte ich, ach nimmst mal dieses Haus als Beispiel, um zu zeigen, was ich meine. Und stehe davor und denke, schon wieder eine Tafel. Na, wer hat denn hier nun wieder gewohnt?

Bunin. Ivan Bunin. Mein Bunin. Ich wußte zwar, daß er mal in Odessa war, aber wie soll man finden, wo das war. Und nun stand ich davor (nicht Lilija, ha, ich).

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Aber wer ist Bunin?
Wer ist Ivan Alexejewitsch Bunin – Иван Алексеевич Бунин?

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Bunin war ein russischer Schriftsteller. Der erste russische Schriftsteller, der den Nobelpreis bekommen hat. Ich mag dieses ewige Ranking nicht mehr, wer ist der beste, schönste etc. Meine drei Lieblingsplatten sind seit Jahren, John Coltrane, A Love Surpreme, Van Morrison Astral Weeks, und die Bach Cello Suiten von Pablo Casals, die Pariser Aufnahmen. Warum zur Hölle sollte eine von den Platten eins und eine andere drei sein? Das habe ich abgelegt. Deswegen gibt es auch kein Ranking mehr bei den russischen Schriftstellern, und ich mag, liebe ja auch viele, und finde sie auf ihre eigene Art wunderbar, warum soll ich da eine Scala anlegen? Ich bin doch nicht bei RTL oder beim Spiegel. Für mich ist Bunin ähnlich wie Chechov, wie Turgenjew. Vielleicht weil viel von den Geschichten auf Dörfern und Gütern spielt. Kann sein. Mich versetzen alle drei in eine wunderbare Stimmung beim Lesen. Aber Bunin ist doch etwas anders. Bunin ist wie Champagner trinken. Wenn mann die richtige Übersetzung erwischt. „Mitjas Liebe“ hatte ich schon gelesen in der Ausgabe der Bibliothek Suhrkamp. Lilija hat mich dann geschubst und ich habe es nochmal gelesen und dann „Dunkle Alleen“, „Das Dorf“… alles Bände mit Erzählungen. Und dann kam „Der Herr aus San Francisco“ (Господин из Сан-Франциско, 1916) . Das wird oft mit dem „Tod in Vendig“ verglichen von Thomas Mann. Tatsächlich kannten die beiden einander und hatten, wen wundert das bei Thomas Mann, einen Briefwechsel.


Wer mag, soll versuchen die Ausgaben von Kippenheuer & Witsch zu finden, aus den Siebzigern und Achtzigern, die lesen sich wunderbar. Teilweise ist das identisch mit Ost Ausgaben, der ist in der DDR auch recht viel gedruckt worden. Ist alles nicht teuer. Aber es gibt noch sehr empfehlenswerte Neuübersetzungen, die langsam wachsende Werkausgabe erscheint im Verlag Dörlemann, ich würde nicht mit dem Revolutionstagebuch anfangen und vielleicht auch nicht mit dem Buch über Chechov. Aber „Ein unbekannter Freund: Zwei Erzählungen“ zumal das auch noch von Swetlana Geier übersetzt ist. Ich habe mich gefreut, daß sie mit Bunin anfängt, aber dann ist sie leider 2010 gestorben.


Ivan Bunin:
Das Dorf  (Деревня, 1910)
Dunkle Alleen (Тёмные аллеи, New York, 1943; Paris, 1946)
Mitjas Liebe  (Митина любовь, 1924)
bei Kiepenheur & Witsch

Das Dorf Suchodol
Ein unbekannter Freund: Zwei Erzählungen, Swetlana Geier
bei Dörlemann

„Der Herr aus San Francisco“ (Господин из Сан-Франциско, 1916)

Swetlana Geier

Wen ich neugierig gemacht habe, dem sei noch „Die Frau mit den fünf Elefanten“ empfohlen. Das ist ein Film über Swetlana Geier. Ja, schon wieder: wunderbar, ganz schöner Film über sie. Sie hat die fünf Elefanten (die großen Romane Dostojewskis) übersetzt. Bei Ammann gebunden (ich bin ganz fest davon überzeugt, daß dies Bücher sind, die mann gebunden lesen muß) und als Taschenbuch bei Fischer. Und diese DVD ist eine Dokumentation über sie und ihr Leben. Lilija und ich haben den Film im Kino gesehen, er hat uns sehr, sehr gefallen.

Die Frau mit den fünf Elefanten, Regie Vadim Jendreyko, 2010

Aus dem Klappentext: Der Film verwebt Swetlana Geiers Lebensgeschichte mit ihrem literarischen Schaffen und spürt dem Geheimnis dieser unermüdlichen Mittlerin zwischen den Sprachen nach. Er erzählt von großem Leid, stillen Helfern und unverhofften Chancen – und einer alles überstrahlenden Liebe für Sprache.

Morjens


Eine Antwort zu “Odessa II – Bunins Haus”

  1. Andres Jankowski sagt:

    Tolle Geschichte

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