Odessa II – Ekatarinen Platz 1

Tach,

Ich bin glücklich angekommen, Lilija ist auch da, aber auch gleich wieder weg. Nur ein kurzer Auftritt.

 

07-20150819_140820

Madame kommt!

Gottseidank hatte der Flug 45 Minuten Verspätung, aber nachdem ich eineinhalb Stunden rumgeeiert bin um Lilija abzuholen und das Loch zum Flughafen nicht gefunden habe, hat sie dann doch zugestimmt mit dem Taxi zu kommen. 68 Grwina kostet der Spaß (3 Euro)! Was soll ich bei diesen Preisen überhaupt losfahren.

Heute: Wo wohne ich/wir? Tja, das ist ein bißchen schief gelaufen, die Wohnung, die ich eigentlich haben wollte, da ist die Vermieterin nervös geworden, weil ich es immer verschoben habe, und hat sie vermietet und mich woanders geparkt. Ich bin jetzt auch im Zentrum, im Schachbrett, aber auf der andern Seite. Die erste Wohnung ist die an der Grenze zum Bezirk Moldavanka. Diese hier ist auch an der Grenze, als nächstes kommt die Promenade und das Meer, bzw. der Hafen. Das hört sich hübscher an, als es in der Realität ist. Das Meer kann ich nicht sehen, die Bäume der Promenade sind dazwischen. Das ist nicht so schlimm. Aber ich lebe hier im Auge des Orkans, die alte Wohnung war an der westlichen Grenze des Tourismusviertels. Außer der Musik, die ab und zu und nur an Wochenenden im Stadtpark spielte, und zu mir ab und zu rüber wehte, habe ich dort, im Hinterhof versteckt, kaum was davon mitbekommen. Dafür aber, raus aus der Tür und Schwupp war ich im Centrum.

Das ist von vorn. Der Eingang zum Hof, auf dem auch das Auto steht. Im ersten Stock, die beiden weißen Fenster links, sind meine.

Das ist hinten. Kein Kommentar. Wie in einem der letzten Texte von Lilija beschrieben, wir haben das „schwarze Treppenhaus“. (In der Mitte über dem Bus ist der Eingang zu sehen).
Diese Wohnung nun ist das Centrum des Centrum. Links von mir ist der Platz mit der Statue von Ekatharina und rechts von mir ist die Statue vom „Duke“ (Armand du Plessis, vollständig Armand Emmanuel Sophie Septemanie du Plessis (1766 – 1822), Graf von Chinon, seit 1791 der 5. Herzog von Fronsac, 5. Herzog von Richelieu und Pair von Frankreich), dem ersten Bürgermeister von Odessa. (Also gab es das damals schon, worüber sich heute alle Russen aufregen bzw. lustig machen, einen Ausländer, einen Franzosen, von Katharina beauftragt als Bürgermeister. Heute sind es eben Georgier. Das macht ja auch den transnationalen Charme der Stadt aus.) Ich hatte mich schon gewundert über „Hotel Duke“, „Restaurant Duke“, daß hier so viel Ellington Fans sind. In Odessa wird Richelieu, tatsächlich ist er mit dem berühmten Marschall Richelieu verwandt, aber nur Duke genannt.

Die Dame, der Herr und in der Mitte eine Front der Kaffeeverkaufsstände, aus dem Auto, die es hier wirklich überall, wo Menschen sind, gibt. In dem Fall sind sie die Grenze zwischen dem Ekatarinen Platz und der Promenade.


Direkt vor den Füßen seiner Statue beginnt die berühmte Potemkinsche Treppe. Das Highlight eines Odessa Besuches schlechthin. Ich will niemanden langweilen: aber die Treppe ist weltberühmt für ihre Szene in dem Stummfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ von Sergej Eisenstein aus dem Jahr 1925. Der Film spielt im Jahr 1905 und stellt den Beginn der 1905er Revolution nach. Es gab auf dem Panzerkreuzer, der im Hafen von Odessa lag, eine Meuterei. Und die Menschen an der Treppe waren gekommen, um die Matrosen zu unterstützen. Die Zaristische Armee hat auf diese Menschen geschossen, und es gab natürlich eine Panik. Das ist in dieser Szene zu sehen. Es gab keine eigene Musik zu dem Film, in der Sowjetunion wurde er mit Musik von Beethoven, Tschaikowski u.a. gezeigt. In Berlin traf Eisenstein den Komponisten Edmund Meisel, der später auch die Musik zu Walther Ruttmanns Film Berlin: Die Symphonie der Großstadt (1927) schrieb. Für die Filmpremiere am 29. April 1926 im Apollo-Theater in Berlin verfaßte Edmund Meisel eine Filmmusik, die sich streng an die Anweisungen des Regisseurs hielt. – Salt & Pepper will beide Musiken zusammen mit der Geräusche-Musik von Meisel veröffentlichen. Daran sitze ich schon ziemlich lange, sieht aber so aus, als könnte es etwas werden, dieses Jahr. –


Zurück, Ihr merkt schon bei meiner vorsichtigen Beschreibung, ich habe etwa das Touristenaufkommen des Brandenburger Tor vor dem Fenster. Wobei die Touris relativ leise sind, was sehr nervt, sind den ganzen Tag Ansagen über Megaphon für das Schlangenmuseum, ein Stück die Straße rauf, und für die Stadtrundfahrten direkt vor der Tür. An meinem ersten Abend habe ich tatsächlich bei offenen Fenstern hier gesessen und geschrieben, dann begann gegen 21.00 Uhr eine Band zu spielen, erst sangen die nur Ukrainisch und ich ließ sie. Dann aber kamen allerlei „Oldies“ auf Englisch, und damit trat dann alles Grauenhafte der Band gleichzeitig zu Tage. Der Trompeter tutet stimmlos vor sich, der Sänger/Gittarist hat ein Spektrum, das er auch wegen einer Melodie nie verläßt, und er singt falsch. Der Schlagzeuger trommelt Stück für Stück dasselbe. Ein Set, Pause in der new-age-ige Andenflötendudelei läuft. Und dann als zweiter Set das ganze von Vorn. Bei „Rock Around The Clock“ war das Fenster dann zu. Selbst Lilija ist bei „Fly me To The Moon“ schlecht geworden, da kann ich ja besser singen!! Und ich bekomme jeden Saal leer. Aber damit es richtig weh tut. Dazu kommt eine Pop Band, die von der Trompete getragen wird, ist eine anstrengende Sache, selbst Cake geht mir damit live irgendwann auf den Wecker. Die rutschen mit ihren Auftritten immer ein Stück weiter auf der Promenade. Erster Abend rechts von meinem Haus, zweiter Abend vor meinem Haus, dritter Abend links von meinem Haus. Nächsten Tag noch eins weiter. Trotz geschlossener Fenster ist alles zu hören, spielt nicht diese Band, spielt ein andere. Immerhin bekommt die schlechteste Band Odessa so hundert Leute als Publikum zusammen. Heute abend werden wir mit Anden Folklore abgestumpft. Jetzt beginnt gerade eine andere Band und versucht sich an Hard-Rock Klassikern. Höhepunkt war bisher Donnerstag bis Montag. Der National-Feiertag mit Bühne beim Duke. Kinderchor, staatliche Folkloregruppen aus allen Teilen der Ukraine, „Weltmusik“ etc. Herz, was willst Du mehr? Hauptsache, es ist schlecht gespielt. Ich verstehe das nicht, es gibt so super ausgebildete Musiker hier, die Musik-Akademie hat einen sehr guten Ruf, und dann so was.

04-IMG_7015

Retro Band des Städtischen Orchester Odessa

Per Zufall haben wir am Sonnabend in einem Einkauf-Centrum die Retro Band des Stadtorchesters von Odessa gehört. Brassband mit Schlagzeuger, die Retro spielen. Das ist hier und in Russland Musik aus den 40-60 Jahren, die damals von solchen Brassbands in Parks, Sanatorien, Bädern öffentlich gespielt wurde, Polka, Walzer und so etwas. Super Band, hervorragende Musiker, alles sauber, akzentuiert, auf den Punkt gespielt, tolle Arrangements. Selbst wenn man diese Musik nicht mag, merkt man sofort, daß es alles gute Musiker sind. Ich hatte vom großen Orchester schon mal was im Fernsehen oder bei Youtube gesehen. Und war da schon begeistert. Ich habe mich mit dem Leiter der Band über Lilija unterhalten, seine Frage, warum ich das toll, gut finde, – siehe oben. Seine Antwort, sie haben alle in Odessa studiert…. Statt diese Gruppe hier den Müll der Menschen aus den Ohren pustet.
Sonst ist es aber schön hier, wir haben zwei längere Spaziergänge unternommen, einmal fünf, einmal siebeneinhalb Kilometer, immer angefangen auf der Promenade. Meine ersten wirklichen Spaziergänge seit dem Beinbruch. Lilija ist es auch aufgefallen, die Odessiten laufen nicht, gehen nicht spazieren, wie wir: sie schreiten, sie flanieren über ihre Promenade. Sie haben die Ruhe weg und die Promenade, der Vorplatz der Oper, alles ist fest in ihrer Hand, schon bei unserem ersten Besuch vor einem Jahr ist uns das aufgefallen, da waren wir per Zufall am 200. Jahrestag der Stadtgründung angekommen. – Einsamer Höhepunkt des Freiluftskonzerts am Hafen war damals Thomas Anders.

Andre Bewohner gibt es noch, drei schwarze Katzen und eine schwarzweiße. Die werden mit Essens-Resten von den Bewohnern und dem Restaurant gefüttert. Nicht meine Welt.

14-20150820_145624

Besuch an meinem Küchenfenster im ersten Stock. Aber hier gibt es nichts.

Morjens


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.