Odessa II – Straßenmusik

Tach,

Wir hatten heute wieder 22 Grad, strahlenden Sonnenschein. Mit gutem Wind, seit 12.00 war das Fenster zur Kolonnade offen. Diese Megaphondurchsagen für Stadtrundfahrten versinken in meinem Ohr. 14.00 Skype klingelt. Ich mußte das Fenster zumachen, der Ton über das Notebook ist sehr leise. Danach frische Tasse Kaffee und Fenster wieder auf. Seit zwei Tagen Ruhe. Durch die Kühle, die fehlenden Ferien, der Tourismus ist im Grunde weg. Manche Cafés haben schon zu. Wenig los auf der Kolonnade, lohnt sich kaum für Musiker. Ach ja, die Armen.
Nach dem Skype das Fenster wieder auf? Nein, denn es tröttet ein 12-14-jähriger auf dem Saxophon. In direkter gerader Linie vor meinem Fenster. Ich mußte ihn schon mal ertragen, als ich die Kolonnade in Richtung Oper lang lief. Der Wind stand schlecht (für mich) und drückte seinen akustischen Müll in meine Richtung. Aber es war absehbar, schneller Laufen, dran vorbei, noch ein paar Schritte um das nächste Haus und ich bin ihn los. Heute gab es kein Ausweichen.

Ja, ich verstehe das alles, tatsächlich, echt. Mann soll vor Publikum spielen, um das Lampenfieber loszuwerden, und die ständig wechselnden Menschen, Autos, Lärm, auf einem U-Bahnhof z.B., wenn einem das alles nichts mehr ausmacht, großartig, wenn mann das schafft. Aber anderseits fängt es weiter vorher an? Haben die denn alle keine Lehrer? Immer wieder machen die Anfänger die gleichen Fehler, sie suchen sich die Stücke aus, die leicht klingen. Können die denn keine Noten lesen, sehen sie nicht, daß gerade diese Stücke es in sich haben. Das gerade das Leichte Spiel das schwerste ist. Soll er sich doch hinstellen und Etüden rauf und runter und wieder zurück spielen, im Vorbeigehen stört das doch keinen. Und er übt. Heute also das Pink Panther Theme. Und er hat es 20 x in zwei Stunden gespielt und ist jedesmal an den gleichen Stellen so abgekackt, daß es wehgetan hat.
Unsere Schüler-Folkband, oder besser der Kern, Baske und ich, haben auch Straßenmusik gemacht, wir haben live geübt. Und uns jedesmal bepfiffen, daß wir für das Üben auf dem Ku’damm von den blöden Touris noch Geld bekommen haben, und nicht zu schlecht. 10-15 DM die Stunde. Plus Zigaretten Pausen, 4 Sets a 15 Minuten. Rauchen und wieder weiter machen. (Meine Ein-Zimmer Wohnung hat damals, 1975, 65.- DM gekostet, als ich mit Arbeiten anfing, mit 12 Jahren (wenn das Frau Nahles liest, muß sie gleich wieder weinen) bei Bolle Getränkekisten schleppen, Pappe zusammenpressen etc. habe ich 2,46 DM!! bekommen, später bei Siemens in den Sommerferien 3,78 DM = sechs Stunden Arbeit für eine LP!) Aber waren wir auch so schlecht?
Als ich im Dreiklang gearbeitet habe, fing es an, daß Musiker jeden Abend kamen. Ein Mensch spielte Klarinette, eine Drei-Mann-Band, so eine Mischung aus Klezmer und Balkan. Gute Musik. Was macht er? Eines Tages taucht er mit einem Alto auf. Und was spielt er? Girl from Ipanema, Take Five und alle andern Schlachtrößer des Jazz. Und es war nur noch unterstes Mittelmaß. Und musikalisch ausgelutschte Langeweile. Und das jeden Abend.
Baske und ich, „Die Fliegenden Blätter“ sind auch zweimal die Woche durch Kneipen gezogen. Aber wir hatten Touren, drei in Charlottenburg, eine Wedding-Moabit, drei in Schöneberg und in Kreuzberg. Wir hatten kein Auto. Ausgangpunkt ein U-Bahnhof und dann sind wir die Nacht durchgelaufen, von Kneipe zu Kneipe. „Können wir hier spielen? Ein Bier am Anfang, eins zum Abschied. Unser 15 Minuten Programm, Baske die Zugabe allein auf der Gitarre und an der Stimme, ich gehe rum und sammle mit meiner Trommel Geld ein. Davon haben wir jahrelang gelebt. Legendär der Auftritt bei Eiseskälte auf dem Weihnachtsmarkt der Domäne Dahlem, Geld gab es schon auch, aber zwei Drittel der Bezahlung war Glühwein und irgendwas Gebratenes. Mann waren wir hacke voll, von dem Ende weiß ich gar nichts mehr.
Aber waren wir auch so schlecht? Ich bin ehrlich, nicht nur an dem Tag möchte ich uns nicht gehört haben, besser gar nicht, aber jedenfalls sind wir den Menschen nicht jeden Tag auf den Sack gegangen. Und wir haben unser Repertoire regelmäßig erweitert.
Heute Nacht nun foltert mich der schlechteste Schlagzeuger Odessas mit seinem Kumpel, der Saxophon spielt (tut er das wirklich?). Das ist eine Ableger-Besetzung der schlechtesten Band Odessas. Die spielen nur abends hier. – Zwei Stunden Schlagzeug und Saxophon, wie abwechslungsreich. Und erst die differenzierten, ausgefeilten Soli. Ich weiß gar nicht, was du hast, Thomas. –
Ich weiß nicht, was ich mir wünschen soll. Sonnenschein und Wärme am Tag, und Regen ab 20.00. Wie die Kinder. Aber wenn es tagsüber warm ist, kommt ja Pink Panther wieder….
Morjens

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PS:
Sollte es jemals noch was werden mit mir und einem Bandonion, werde ich in den U-Bahnhöfen sitzen, ganz bestimmt.

 


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