Esthland – Tallinn Erster Tag: Bahnhof und Turg

Tach,

Für zehn Tage fahren wir durch Esthland, jetzt im Sommer 2018. Ich wollte mehr sehen, als nur immer die gleiche Durchfahrtsstraße nach Piter und habe uns deswegen eine kleine Tour zusammengestellt. Es geht zur Hauptstadt, nach Tallinn, dann nach Pärnu, der sogenannten Sommerhauptstadt, anschließend auf eine Insel, Saaremaa, die zweit größte Ostseeinsel, nach Gotland, und von dort nach Tartu. Auf dem Rückweg von Tartu nach St. Petersburg halten wir in Kuremäe, dort gibt es ein russisch-orthodoxes Nonnenkloster von Pühtitsa, deutsch Püchtitz.

Die Blödmänner von DHL haben mir doch wieder nichts nachgesendet! – Die Ex-Weiche ist wohl „Kunst am Bau“.

Zur Vorbereitung der Fahrt habe ich einige Reiseführer angeschafft und gelesen. Und vor allem hat es mir aus der Reihe „Europa erlesen“ der Band Tallinn angetan. 2018 ist die 100-Jahrfeier der Revolution und der Gründung des esthnischen Staates, von einer Nationalliteratur zu sprechen, zumal ja auch noch die Zeit der Besetzung von Nationalsozialisten und Kommunisten dazu kommt, ist schwierig bzw. sie ist überschaubar. Warum ich soweit aushole? Ein Lesebuch zu Tallinn oder Esthland zusammenzustellen ist schwierig. Das Tallinn-Buch ist deswegen hauptsächlich von Erinnerungen der Deutschbalten und mit Reiseberichten von ihnen und anderen Nationen gefüllt, was der Sache keinen Abbruch tut und mir sogar sehr gefällt. So, und jetzt kommt es, daher habe ich die Schreibweise von Esthland mit H. Die Rückkehr des unterdrückten Buchstaben. Zu meiner Zeit in der Schule haben wir thun noch mit H geschrieben, erst 1960, glaube ich, wurde das geändert. Dritte oder vierte Klasse. Schon mein Vater hat diesen ganzen Quatsch nicht mitgemacht und schrieb viel mit H, und dann auch noch lateinisch und Süterlin zusamen in einem Wort, irgendwoher muß ich es ja haben. Hier jedenfalls feiert das H seine Auferstehung, Gottseidank wurden die Texte nicht in die grauenhafte Rechtschreibreform gepresst. Aber auch anders ist sehr hübsch: Wage mir einem a, aber Waare mit zweien.

Wie immer bei Bahnhöfen, gibt es ein paar nicht so schicke Ecken, die auch gerne arg riechen. Die Häuser sind so schon auf der anderen Seite der Gleise. Lilia erzählt, daß sie in Königsberg im letzten Jahr bei der Deutsch-Olympiade auch diese Art von Straßenbahnmasten gesehen hat. Allerdings noch die Originalen! Das hier sind Nachbauten.

Bei meinen Vorbereitungen war ich auch auf der Suche nach Reval, oder auch Rewal geschrieben. Und mir ist ja nichts peinlich genug, ich gebe es zu. Immer dachte ich, eine Stadt mit so einem schönen Namen mußt Du besuchen. Die meisten werden es wissen, Reval heißt seit der bürgerlichen Revolution von 1918 Tallinn. So kann es gehen. Über die Schreibweise war ich mir nicht im klaren. Lilia sagt, während der Sowjetzeit haben sie es Talin geschrieben. Ein L, ein N. No wod.

Die Markthalle hat zwei Hallen, in zwei Ebenen. Die Rechte beginnt gleich hinter den Obst/Gemüseständen und hat lauter kleine quadratische Häuschen. Sie ist an den Stirnseiten offen. Die linke Seite ist eine halbe Treppe tiefer und hat klassische Stände und ist geschlossen.

Die Sache mit Reval hat mich wieder zu einem Thema gebracht: Deutsche und ihre Geschichte. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, wo ich Brocken, Theile meiner Geschichte, der Geschichte der Deutschen finde, schamhaft verborgen, als hätte es sie nie gegeben. Nur weil mich die Deutsch-Balten und ihre immerhin 700-Jahre-lange Anwesenheit im Baltikum – die wurde mit dem Hitler-Stalin Pakt abrupt beendet – interessiert, heißt das doch nicht, daß ich zurück zu den alten Zuständen will. 1200 „deutsche“ Landhäuser, Gutshäuser gibt es alleine hier in Esthland. 50% der Revaler waren Deutsche, der Rest Dänen, Schweden, Russen und Esthen. Gesprochen wurde deutsch. Warum durfte ich darüber nichts lernen im Geschichtsunterricht? „Von der Maas bis an die Memel“ heißt es im Lied der Deutschen. Über die Stelle habe ich mich immer gewundert, wo ist diese Memel und warum kommt die im Lied vor. Und nun bin ich nochmal 300 KM weiter im Norden und noch immer begegnen mir deutsche Spuren. Vom Deutschen Orden und Alexander Newski weiß ich (wegen des Films von Sergei Eisenstein von 1928, der lief auf Dauerwiederholung im Ost-Fernsehn, was dem Film nicht schadet). Aber schon was ist/war Livland? da verläßt es mich auch schon.

Alexander Newski wird im zweiten Theil des ersten Tages, beim Altstadtspaziergang, dann eine Rolle spielen. Der erste Theil begann am Bahnhof, das ist gelinde gesagt eine zu schöne Beschreibung für die paar Gleise mit Wartehalle und Klo. Dort wollte ich einen Stadtplan kaufen, einen Caffè trinken und mit Lilia den Tag planen. Das ging schief, sowas schnödes wie einen Stadtplan haben wir gar nicht zu kaufen bekommen, auch später nicht, der Trozdem-Caffé hat äußerst bescheiden geschmeckt. Aber ich entdeckte auf der anderen Seite der Gleise einen Turg!! Ich liebe Turgs, (Märkte, Markthallen) hier im Osten schon deswegen, weil ich immer hoffe, dort ein vergessenes Restaurant, eine Kanthine zu finden, die noch sowjetische „Leckereien“ bietet. Essen sogenannter einfacher Leute, landesüblich. Lilia kommt da immer brav mit und findet es selbst spannend zu gucken, was es so alles gibt. Aufgebaut sind diese Märkte, wie unterschiedlich sie auch aussehen, immer nach dem gleichen Prinzip. Tisch ohne Dach, ganz billig, für die Omi, die ihre Erdbeeren von der Datscha verkauft. Dann kommt Tisch mit Dach, regelmäßige Verkäufer, aber meist mit heimischer, begrenzter Ware, in St Petersburg gibt es in beiden Abtheilungen auch Trödler mit Haushaltswaren, spottbillig oder gebraucht und wie bei den Türken, gebrauchtes Werkzeug, Marke anno Mütze. Nächster Schritt ist dann die Markthalle, hier sind die Händler, die täglich dort sind und ein festes Warenangebot haben, Obst, Gemüse, Gewürze, Käse, Fleisch, Fisch, Thee-Caffé, ein asiatischer Stand, mit eingelegtem Gemüse und Algen (aber nie Tofu!!!), Honig, und immer wieder erstaunlich für mich, extra Quarkstände. Hängt aber natürlich von der Größe ab, wie viel verschiedenes angeboten wird.

Beim Schuster habe ich mir zwei Löcher in den Gürtel machen lassen.
Petit Fleur für kleine Mädchen.

Dieser Markt ist neu. Lilia hat sich mit der Verkäuferin von „Baltic cheese“ unterhalten. Früher zur Sowjetzeit war das ein Bahndepot, ihre Mutter hat dort gearbeitet. Jetzt ist es ein Markt, ob das ein alter Markt ist, der umgezogen ist, wußte sie nicht. Der Markt sieht sehr schick aus. Edel. Vorne an waren die Obst- und Gemüsestände. Wir haben gleich nach Blaubeeren geguckt, gab es, polnische und esthnische, überhaupt waren die Beeren und Pilze auch viel, meist, aus Polen, das sind ja nun auch gut 800 KM. Auf dem Rückweg habe ich Blaubeeren und Himbeeren gekauft. Die esthnischen waren die Billigeren und die Kleineren. Machte aber nichts, wir haben die zu einem grünen Smoothie verarbeitet, mit Salat von Schwiegermutter‘s Datscha, und Bananen (nein, die waren nicht von der Datscha, Blödmann). Aber in den Hallen geht es teuer her. Alles ist auf gentrifizierte Marheineke-Markthalle getrimmt. Wer hier kauft, hat Kohle, definitiv. Stand mit italienischen Spezereien, mit Preisen, daß es kracht. Aber billig ist in Esthland sowieso nichts. Habe ich Diesel in Polen noch für 4,13 Zloty (ca. ein Euro) getankt, kostet der hier 1.34-39€. Da waren selbst Lettland und Litauen und auch Deutschland billiger. Wir waren auch in einem Laden der Kette Biomarket. Ich hatte darüber gelesen, die haben mit deutschen Produkten begonnen, und nun versuchen sie auch eigenes. Dort habe ich ein Brot gekauft, um dem ewigen Industriebrot zu entgehen, das es im ganzen ehemaligen Ostblock sonst gibt. Nun, um es kurz zu machen, Bio ja, aber trotzdem weich, wie alles Brot hier. Ist wohl ein Eiertanz, richtiges Vollkornbrot wird keiner kaufen.

Aller Anfang ist schwer, der Gegensatz zum Alnaturaladen in Berlin Moabit ist, beide haben viel Platz zwischen den Regalen, aber bei Alnatura ist wenigstens was im Regal. Ganz so schlimm ist es nicht, aber doch schon arm. Mit dem Angebot würde ich nicht auskommen. Sechs Läden haben sie in Tallin, einen haben wir auch in Pärnu gesehen. – Nächstes Jahr sehen wir weiter.

Nun, im Urlaub aufs Geld gucken macht keinen Spaß, also habe ich mir noch ein Eis gegönnt. Lilja brachte den Einkauf zum Auto, ich saß auf der Bank und guckte den Menschen zu. Dann ging es endlich in die Altstadt. Davon berichtet der zweite Text vom ersten Tag.

Morjens

Thomas bekommt sein Eis, Salt Peanuts war am Besten.
Alle Photos von Lilia Birr-Tsurkan, p & c Birr’s World 2018

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.