Der Verfolger – Meeting Paul Bowles

Der Verfolger spricht:

Von Jägern und Sammlern


Gibt es einen Gott und hat er Mitleid mit den Menschen? Schubst er mich nun endlich mal in den einen Trödelladen, aus dem ich zwei/drei (gerne auch mehr – wir fahren einen VW Bus) Kisten Schallplatten abschleppe, das ganze für lau, und Erwin noch tragen hilft, nur um das Zeug endlich los zu werden. Ich nun gegen alle andern fett abstinke und reich werde, ob des raren Zeugs im Fund, und noch reichlich für die eigene Sammlung übrig bleibt?
Diese Frage stellte sich mir (mal wieder) heute morgen.


Was ist passiert? Immer wieder donnerstags macht Streif seinen Laden auf. (Demnächst ist das Schallplattenantiquariat Streif, Kruppstraße 12 in Moabit auch im Video Blog als „Meine Moabiter Lieblingsplätze“ zu sehen). Mann trifft sich von 12 bis 20 Uhr. Bei schönem Wetter steht ein Tisch vor der Tür. Ist ein bißchen wie bei Muttan, Kaffe bis Anschlag und jedes Mal wird extra ein Kuchen gebacken. Einer der wenigen Plätze, wo Raucher noch paffen können bis sie umfallen. Weshalb ich im Winter nie lange bleibe, da ist die Tür zu und die Klamotten stinken wie früher nach einem Kneipenbesuch und müssen über Nacht auf dem Balkon hängen (erst einmal einen haben). Allerdings ist es auch immer wieder die gleiche Mischpoke, die sich da durchsäuft und futtert. Kann auch anstrengend sein, es gibt Laute und Leise und meistens sind sie laut. Alle haben Recht, und nur sie, alle wissen was, was nur sie wissen, und das laut. Einer muß den andern toppen. (Genau, bißchen wie Kindergarten). Ja, ich weiß, da passe ich bestens rein. Aber ansonsten gibt es Schelllacks und Vinyl die Masse und deswegen gehe ich dahin, „Mein Dealer“ hat man früher wegen was andrem gesagt. Gegen das Laute gibt es zwei Mittel, früh um 12.00 da sein, oder spät abends, da ist es meist leerer. Das dritte ist, nicht jeden Donnerstag hingehen. Gestern war ich mit Streif ab 19.00 Uhr allein. Keine Ahnung, was los war, vielleicht hat Mutti gedroht, daß sie pünktlich zum Abendbrot zurück sein müssen??? Na gut, also haben wir gequatscht und gelästert, und hatten auch jede Menge Recht. Kurz bevor ich gehe, noch ein Sicherheitspinkler, man wird älter. Ich also in Richtung Klo und da liegt auf einem Tisch ein Schelllack Album, mit sehr hübschem Cover. – Das ist nicht schlimm es nicht zu wissen: Wenn Schelllacks doch eigentlich wie Singles sind, vorne, hinten, fertig, und in einer Papierhülle mit Loch in der Mitte, damit man sieht, was drauf ist, gab es aber auch schon für die Alben, wie später für die 45iger Vinyl Singles. Der Vergleich klemmt etwas, in den sechziger haben wir uns ja die 45iger Alben selbst zusammengestellt. Das Album leer gekauft und dann die Singles rein gesteckt. Vielleicht ist es besser mit Plattenboxen vergleichbar. Einmal, klar wegen Klassik, eine Sinfonie paßt nicht auf zwei Seiten, und was liegt näher, als daraus dann ein Album zu machen, aber auch von einzelnen nicht-Klassik-Artist gab es Alben.

Mein neuer Schatz.

Mein neuer Schatz.

Da lag also ein Album, Contemporary American Piano Music, von Andor Foldes (eigentlich Földes). Hübsch gemacht, die Tasten wie die Streifen von Stars & Stripes angelegt. Mein Auge blieb hängen, liest die Komponisten, liest vor allem einen Namen. Streif sagt: „Naja, ist eigentlich nur Aaron Copeland bekannt“, ich sage: „nee, Samuel Barber sollte man wenigstens auch kennen“. Mich interessierte aber der letzte Name. Ich nehme das Teil in die Hand. Streif sagt: „aber eine Platte fehlt“.
Glaubt es oder nicht, ein Donnerschlag ging durch mich durch, mir war völlig klar, welche Platte fehlte. Ich hätte es hinlegen können und gehen. Aber nein, wenn eine Wunde schlagen, dann richtig. Ich klappe es auf, gehe alles durch, und na klar, die letzte Platte fehlt. Die Aufnahmen mit den Paul Bowles Stücken.
Nun müßte ich eigentlich mit einen großen Schwung ausholen um zu sagen, wer oder was Paul Bowles ist. Warum mich das interessiert und was sonst so. Das sprengt aber alles und jeglichen Zeitrahmen, ich habe nächste Woche schon was vor.


Zusfass: hat mein Deutschlehrer Otto Citron immer gesagt.

Der Spiegel schreibt über Paul Bowles:

„Bekannt wurde er in Deutschland eigentlich nur mit seinem Roman „Der Himmel über der Wüste“ (1949), und auch das erst sehr verspätet durch die erfolgreiche Verfilmung von Bernardo Bertolucci aus dem Jahre 1990 – wobei der alte Schriftsteller als Kommentator der Geschichte eindrucksvoll ins Bild kam. Bowles, Sohn eines New Yorker Zahnarztes, begann seine künstlerische Laufbahn als Komponist, er schrieb vor allem Bühnen- und Filmmusik. Seit 1947 lebte er in Tanger, das er zuvor auf einer seiner vielen Reisen kennen gelernt hatte. Marokko und die Wüste spielten fortan eine große Rolle in den Romanen und Erzählungen, zu denen ihn vor allem seine Frau Jane angeregt hatte, die 1973 starb. Schreiben verlor danach für ihn an Interesse – da er ihr nicht mehr vorlesen könne, sagte er. 1999 ist er im Alter von 88 Jahren gestorben.“
Nun, bekannt geworden ist vielleicht doch etwas übertrieben. Eigentlich ist das nun doch ein Geheimtip-ever-since. Ich bin auf seine Musik gestoßen durch einen Film, der 1999 bei den Berliner Filmfestspielen lief.

Night Waltz: The Music of Paul Bowles

Night Waltz: The Music of Paul Bowles


– This 1999 film, directed by Owsley Brown III, has won several international awards. Paul Bowles, photographed at his home in Tangier, Morocco, discusses his own music alone and with writer and composer Phillip Ramey. The documentary contains rare black-and-white footage of New York City during the 1930s and 1940s by Rudy Burckhardt and Nathaniel Dorsky, and beautiful images of Mexico and Paris, as well as Tangier. (http://www.paulbowles.org)


Danach habe ich angefangen, mich mit seiner Musik zu beschäftigen, das war sehr mühselig, es gab eine CD von einem Sänger, zwei Piano CDs, und so ging das jahrelang weiter. Dann habe ich eine LP gefunden, eine Seite Weill, andere Seite Paul Bowles, das Internet war nicht das, was es heute ist, aber immerhin, der Film hatte etwas angestoßen und ich wußte nun, daß er am Anfang, noch in New York, Theater Musik geschrieben hatte, Balletts. Zum Beispiel für Tennessee Williams „Die Glasmenagerie“. Aber was war davon aufgenommen, nichts? Es gab keine Diskographie, nicht mal ein Versuch davon, nichts brachte Licht ins Dunkel. Niemand wußte was. Ich bin bis zu seinem deutschen Buch-Verleger gekommen, zu seiner deutschen Übersetzerin, sehr nette Dame. Alle fanden es ganz aufregend, das ich danach suche, aber helfen konnte keiner.

Gregory Corso, Paul Bowles & William S Burroughs – Villa Mouniera, Tangiers, Morocco, 1957


Paul Bowles war das Oberhaupt der Tanger Fraktion, eine ganze Menge Amis lebten dort oder kamen aus Paris rüber. Die Übersetzerin warnte mich schon vor. Ich stieß auf die Bowles Gesellschaft. Eine Diskographie, wie ich es hasse, bestehend nur aus CDs und die nicht mal vollständig, da hatte ich ja schon mehr. Also habe ich die angeschrieben, und so kam ich also zu einer der Gralshüterabteilungen, und von dort zu der nächsten. Ein bißchen wie bei Streif, alle laut, alle haben Recht. Der Unterschied: sie trinken keinen Kaffee zusammen, sie sind alle verfeindet, jeder Kreis ist „the Original“ und die einzig gültige Wahrheit. Bei der Paul Bowles Gesellschaft gab es ein Buch mit seinen Texten zu Musik. Das hat mir Lilija dann von einer amerikanischen Freundin bestellen lassen und zum Geburtstag geschenkt (siehste, ich weiß es noch.) An meinen Korrekturen zur Diskographie gab es natürlich kein Interesse, und nicht das ich deswegen beleidigt war, selbst der E-Mailverkehr war unerträglich. Also Abbruch meinerseits. Heute (16 Jahre später!) habe ich 10 CDs mit Musik von Bowles. Sehr hübsche, kleine Anekdote dazu: Es haben sich ja in Deutschland alle überschlagen, als die CD „Paul Bowles Migrations“ erschien, mit Aufnahmen vom Hessischen Rundfunk, welch ein Jubel im deutschen Feuilleton. Im Film sitzen Paul Bowles und Bennett Lerner zusammen über Noten (immer bei offenen Fenstern, sonst hätten sie wohl wegen des blauen Dunstes vom Dauerkiffer Bowles nicht drehen können) Lerner: „Hast Du gehört, in Deutschland ist eine CD mit Deiner Musik erschienen?“ Bowles: „Ich weiß, sie haben mich gefragt“… Pause … „Sie spielen alles zu schnell“. Ich habe mir im Kino auf die Schenkel geklopft.

Jane und Paul Bowles

Jane und Paul Bowles


Tatsächlich waren die beiden CDs von Bennett Lerner „American Piano Music“ die ersten, die ich gefunden hatte, aber bis ich sie hatte, sind zwei Jahre vergangen. Neben Paul Bowles (einmal 6, einmal 7 Stücke) gibt es Barber, Copeland, Thomson Schuman. Halt immer die gleichen, wenn es um „American Contemporary Music“ geht. Dann gab es noch William Sharp, ein Baritone, der auf „Works by Thomson, Bowles… “ elf Lieder von Bowles singt.
Nun habe ich gar nicht gesagt, was und wie mir es gefällt. Aber darum geht es heute nicht. Ich wollte von meinen Leiden erzählen. Ich wollte nur erklären, wie ich nun gestern zitternd in dem Laden stand, vor mir ein Album von 1947 mit dem Namen Paul Bowles auf dem Cover. Ich kann ja nur raten, 1930 hat Bowles die erste Piano-Musik veröffentlicht. Anfang der vierziger kamen Opera, Ballett etc. dazu. 1947! über 50 Jahre früher als die Aufnahmen, die ich habe.
Ist diese Aufnahme von Andor Foldes womöglich das erste aufgenommen Stück von Bowles? Zumindest ist es ein sehr frühes. Thomas der Entdecker. Alle Jahre habe ich davon geträumt, Shelllacks mit Musik von Paul Bowles zu finden und zu veröffentlichen. (Da kann dann auf meinem Grabstein stehen: Er hat damals diese CD rausgebracht, gab es auch auf Vinyl.)

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Und dann fehlt diese Scheißplatte !!!!!!!!!!!!!!!!!
– Zurück auf Anfang: Ja, es gibt einen Gott, und der lacht sich schlapp über den Blödmann Thomas.

Morjens

He did not think of himself as a tourist; he was a traveler. The difference is partly one of time, he would explain. Whereas the tourist generally hurries back home at the end of a few weeks or months, the traveler, belonging no more to one place than to the next, moves slowly, over periods of years, from one part of the earth to another....[A]nother important difference between tourist and traveler is that the former accepts his own civilization without question; not so the traveler, who compares it with the others, and rejects those elements he finds not to his liking.

He did not think of himself as a tourist; he was a traveler. The difference is partly one of time, he would explain. Whereas the tourist generally hurries back home at the end of a few weeks or months, the traveler, belonging no more to one place than to the next, moves slowly, over periods of years, from one part of the earth to another….[A]nother important difference between tourist and traveler is that the former accepts his own civilization without question; not so the traveler, who compares it with the others, and rejects those elements he finds not to his liking. – from: The Sheltering Sky.

 


11 Antworten zu “Der Verfolger – Meeting Paul Bowles”

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